Gestern war Volkstrauertag. Ich habe diese Gelegenheit genutzt, um sämtlichen greifbaren Gräbern meiner Verwandten einen Besuch abzustatten, und ein paar Blumen niederzulegen, wie man so sagt. Als ich am Grab meines Grossvaters stand, fiel mir ein, wieviel Wert er immer darauf legte, dass am Volkstrauertag immer die ganze Familie zusammenkam, zu irgendeinem Gefallenenehrenmal pilgerte, und dort an der Kranzniederlegung teilnahm. Ich fand das natürlich ziemlich blöd, weil ich erst 5 war, oder so, und ausserdem immer so langweilige Musik gespielt wurde. Auch heute kann ich nicht viel mit solchen Zeremonien anfangen, allerdings liegt das nicht mehr nur an der Musik. Es ist einfach ganz fürchterlich niederschlagend achtzigjährigen Männern dabei zuzuschauen, wie sie um Menschen trauern, die seit über fünzig Jahren tot sind. Nicht, dass ich es ihnen nicht gönnen würde, um ihre Freunde zu trauern, es deprimiert mich nur ganz einfach.
Wie dem auch sei, nach der Kranzniederlegung trafen sich die Veteranen immer noch bei Kaffee und Kuchen, und redeten über die alten Zeiten. Auch meine Eltern und ich wurden genötigt, dabeizusein. Die alten Männer hielen sich nicht zurück. Grausige Geschichten aus Russland wurden dort erzählt, die sicherlich nicht für die Ohren eines fünfjährigen bestimmt waren, aber ich konnte mich nicht wehren, und wie man gezielt weghört wusste ich damals noch nicht. Irgendwann war es soweit, dass ich einfach nur noch Angst vor den Freunden meines Opas hatte, und immer wenn Familienfeiern anstanden, wurde ich krank. Jetzt geht es mir wieder besser, und zum Glück muss ich auch nicht mehr zu solchen Ereignissen gehen. Aber wenn mir diese Tage auch sonst nichts gebracht haben, ich glaube, sie haben mich zum Kriegsgegner gemacht.